Gerichtssaal

OLG Dresden bestätigt: Arglistige Täuschung bei BU-Versicherung – Vertrag unwirksam

Gerichtssaal

Eine Gesundheitsfrage im Antragsformular „ob in den letzten fünf Jahren Behandlungen, Beratungen oder Untersuchungen durch Ärzte, sonstige Behandler oder im Krankenhaus“ erfolgt sind, stellt keine unzulässige Globalfrage dar. So sind auch Behandlungen, die eine Überweisung zum MRT enthalten, sowie eine einmonatige Krankschreibung, anzugeben. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Bagatelle handelte oder um welchen Grund es sich handelte (z. B. wegen Arbeitsplatzschwierigkeiten). Die Beantwortung muss unabhängig von ihrer Schwere erfolgen, denn der Versicherer muss selbst einschätzen können, ob er das Risiko versichern will oder nicht. Als Versicherungsnehmer sollte man bestimmte Behandlungen nicht als unerheblich einstufen und diese bei der Antragstellung verschweigen. In der Regel wird das Verschweigen nicht selten als arglistige Täuschung gewertet.  In diesem Fall verliert man nicht nur den Versicherungsschutz rückwirkend, sondern man hat auch die Prämien umsonst bezahlt.

Das Urteil

Das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 10. Oktober 2023 (Az. 4 U 789/23) betrifft einen Streitfall zwischen einem Grundschullehrer (Kläger) und einer Lebensversicherungsgesellschaft (Beklagte) im Zusammenhang mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Kläger hatte bei der Beantragung der Versicherung im Jahr 2012 bestimmte Gesundheitsfragen in dem Antragsformular falsch beantwortet. Insbesondere verschwieg er eine Krankschreibung wegen psychischer Belastungen und Rückenschmerzen, die er während seines Referendariats erhalten hatte.

Die Versicherungsgesellschaft trat nach einem Leistungsantrag des Klägers im Jahr 2020 in die Prüfung ein und entdeckte die unvollständigen Angaben. Daraufhin erklärte sie zunächst den Rücktritt vom Vertrag und später die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.

Das Landgericht Leipzig hatte die Klage des Klägers auf Zahlung der Versicherungsleistungen bereits abgewiesen, und das Oberlandesgericht Dresden bestätigte dieses Urteil. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Kläger die Gesundheitsfragen im Antragsformular objektiv falsch beantwortet und dabei arglistig gehandelt hatte. Diese Arglist wurde durch mehrere Indizien belegt, wie die selektive Angabe von Beschwerden und das Verschweigen von Behandlungen und Krankschreibungen, die in zeitlicher Nähe zum Versicherungsantrag lagen.

Das Gericht entschied, dass die Anfechtung der Versicherungsgesellschaft wirksam sei, was zur Folge hat, dass der Versicherungsvertrag als von Anfang an nichtig betrachtet wird. Der Kläger kann somit keine Rechte mehr aus diesem Vertrag geltend machen. Die Revision gegen dieses Urteil wurde nicht zugelassen.


Ist eine Anfechtung des BU-Vertrages nach 10 Jahren möglich?

Ist eine Anfechtung des BU-Vertrages nach 10 Jahren möglich?

Im Leistungsfall kann die Situation bestehen, ob ein Versicherer (VR) noch nach Ablauf von zehn Jahren einen Versicherungsvertrag anfechten kann, wenn der Versicherungsfall bereits vor Ablauf dieser Frist eingetreten ist. Dabei geht es insbesondere um Fälle, in denen der Versicherungsnehmer (VN) die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt hat.

Nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG können Rücktritt, Kündigung und Vertragsanpassung nach fünf Jahren seit Vertragsabschluss nicht mehr geltend gemacht werden. Diese Regel wird jedoch durch § 21 Abs. 3 VVG erweitert, sodass bei arglistiger oder vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht durch den VN die Frist auf zehn Jahre erweitert wird. Dabei ist strittig, ob diese erweiterte Frist auch dann gilt, wenn bereits ein Versicherungsfall eingetreten ist, bevor die zehn Jahre verstrichen sind.

Die Auffassung, dass die Anfechtung auch nach Ablauf der Zehnjahresfrist möglich sein soll, wird von einigen Rechtsexperten und Gerichtsurteilen unterstützt. Argumentiert wird, dass der arglistig handelnde VN nicht schutzwürdig sei. Dies wird durch den Sinn und Zweck der Regelung sowie durch gesetzliche Begründungen untermauert, wonach die Frist bei Arglist dem § 124 Abs. 3 BGB entsprechen soll, welcher eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ebenfalls für zehn Jahre ermöglicht.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich damit beschäftigt und Klarheit geschaffen, mit dem Urteil vom 25.11.2015 (BGH IV ZR 277/14). Vereinfacht erklärt, ist die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung im Versicherungsrecht in § 22 VVG geregelt, jedoch ohne Angaben von Fristen. Man könnte nun überdenken, ob nicht die Anfechtung wegen Täuschung nach §§ 123 und 124 BGB innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes oder § 21 Abs. 3 VVG zuzuordnen ist. Oder ob ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegen könnte und nach § 853 BGB eine Arglisteinrede wegen unerlaubter Handlung möglich wäre. 

Der BGH stellte klar, dass der § 21 Abs. 3 VVG sich nur mit den Rechten des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG befasse, also mit der Kündigung und dem Rücktritt und nicht mit der Arglistanfechtung, sowie dass Ansprüchen nicht nach BGB angesprochen werden, weil die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) spezieller als die des BGB sind.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass bei arglistiger oder vorsätzlicher Verletzung der Anzeigepflicht durch den VN eine Anfechtung des Vertrags durch den VR nach Ablauf von zehn Jahren nicht mehr erfolgen kann, unabhängig davon, ob bereits ein Versicherungsfall eingetreten war. Diese Regelung dient dazu, die Rechte des Versicherten zu schützen. Es ist aber auch verständlich, dass Versicherer bei arglistigem Handeln des Versicherungsnehmers nicht gerade über diese Entscheidung erfreut sind, was auch künftig das Gesamtkollektiv belasten kann.


Folgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung § 19 VVG

Unterschrift 01Folgen einer vorvertraglichen Anzeigenpflichtverletzung
nach § 19 VVG

Situation im Leistungsfall:
Nach vielen Jahren gezahlter Versicherungsprämien verweigert der Versicherer auf einmal die beantragten Leistungen auf Berufsunfähigkeit. Die Begründung lautet: "Die versicherte Person hat eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung nach § 19 VVG begangen".

Was bedeutet das für Sie und auf was müssen Sie bei Vertragsabschluss oder bei bzw. vor einem Leistungsantrag beachten, um eine vorvertragliche Anzeigenpflichtverletzung zu vermeiden?

Vorab erst einmal, was ist der Inhalt des § 19 VVG?

§ 19 Abs.1 VVG: "Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. Stellt der Versicherer nach der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers, aber vor Vertragsannahme Fragen im Sinn des Satzes 1, ist der Versicherungsnehmer auch insoweit zur Anzeige verpflichtet."

Übersetzt heißt es, Sie müssen alle Gesundheitsfragen zum Zeitpunkt der Antragstellung des Versicherungsvertrages wahrheitsgemäß beantwortet haben. So kann z.B. der Besuch einer Rettungsstelle in einem Krankenhauses wegen der Entfernung einer Zecke bereits als Krankenhausaufenthalt gewertet werden. Wurde der Besuch im Krankenhaus im Versicherungsantrag nicht angegeben, könnte das schon eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung bedeuten, auch wenn die Behandlung nicht mit einer Übernachtung zusammenhängt (siehe auch weiter unten im Text das Beispiel).


§ 19 VVG Anzeigepflicht

Recht Paragraf 00 ws§ 19 VVG Anzeigepflicht

 

 

 

 

(1) Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. Stellt der Versicherer nach der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers, aber vor Vertragsannahme Fragen im Sinn des Satzes 1, ist der Versicherungsnehmer auch insoweit zur Anzeige verpflichtet.

(2) Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten.

(3) Das Rücktrittsrecht des Versicherers ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. In diesem Fall hat der Versicherer das Recht, den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu kündigen.

(4) Das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht und sein Kündigungsrecht nach Absatz 3 Satz 2 sind ausgeschlossen, wenn er den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte. Die anderen Bedingungen werden auf Verlangen des Versicherers rückwirkend, bei einer vom Versicherungsnehmer nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil.

(5) Dem Versicherer stehen die Rechte nach den Absätzen 2 bis 4 nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Die Rechte sind ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte.

(6) Erhöht sich im Fall des Absatzes 4 Satz 2 durch eine Vertragsänderung die Prämie um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand aus, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer in der Mitteilung auf dieses Recht hinzuweisen.


Please publish modules in offcanvas position.